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Dauervideoüberwachung - Obergerichte interpretieren Karlsruhe unterschiedlich

Videoüberwachung erfordert eine gesetzliche Grundlage. Die Gerichte sind uneins, ob es eine solche schon gibt. Foto: Tristan - stock.adobe.com

Schon im August hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt, dass für eine Dauervideoüberwachung zum Zwecke der Verfolgung von Verkehrssündern eine - bislang nicht vorhandene - gesetzlichen Grundlage nötig sei. Werden trotzdem Beweisvideos aufgenommen, stelle dies einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht der Verkehrsteilnehmer auf informationelle Selbstbestimmung dar. Karlsruhe hatte aber offen gelassen, ob aus dem festgestellten Beweiserhebungsverbot auch ein Beweisverwertungsverbot folge (Az.: 2 BvR 941/108).

Die Frage des Beweisverwertungsverbots haben Amtsgerichte bisher unterschiedlich beurteilt. Teilweise haben auch die Bußgeldbehörden Bußgeldverfahren eingestellt, die aufgrund von automatischen Videoaufzeichnungen eingeleitet worden waren. In Bayern wurde die Rechtslage teilweise ganz anders beurteilt. Aus Oldenburg (Az.: Ss Bs 186/09) und Bamberg (Az.: 2 Ss OWi 1215/09) liegen die ersten beiden Entscheidung von Oberlandesgerichten (OLG) zu dieser Problematik vor.

Das OLG Oldenburg verneint eine gesetzliche Grundlage für die Videoüberwachung

Nachdem vom OLG Oldenburg mit Beschluss vom 27.11.09 in der ersten aktuellen rechtskräftigen Entscheidung eines Oberlandesgerichtes nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.09 zum Thema Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung durch Videomessung im Straßenverkehr, die Unzulässigkeit verdachtsunabhängiger Dauervideoüberwachung wegen mangelnder gesetzlicher Eingriffsgrundlage festgestellt worden war, liegt nun eine Entscheidung des OLG Bamberg vor, die die Rechtslage - zumindest für das manuell gesteuerte VAMA-Verfahren - komplett anders wertet.

Während nach Ansicht der Oldenburger Richter für die Erhebung von Daten durch Dauervideoüberwachung keine gesetzliche Grundlage bestehe und die Erhebung dieser Daten auch einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern darstelle, meinen die Bamberger Richter, dem verfassungsrechtliche Gebot einer bereichsspezifischen und präzisen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Verkehrsüberwachung sei mit der am 01.01.2008 neu gefassten Regelung des § 100 h Abs.1 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) genüge getan. Diese strafprozessuale Vorschrift, welche über die Verweisungsnorm des § 46 Ornungswidrigkeitengesetz (OwiG) auch für den Bereich des Bußgeldverfahrens gelte, enthalte eine Ermächtigung zur Anfertigung von Videoaufnahmen. Ihrem Wortlaut nach diene diese Vorschrift der Erforschung des Sachverhaltes und damit Ermittlungszwecken. Sie sei daher keineswegs auf Observationszwecke beschränkt.

Bamberg erklärt Videobeweis bei Brückanabstandsmessverfahren (VAMA) für zulässig

Daher ist, nach Ansicht der bayerischen OLG-Richter, bei Vorliegen eines entsprechenden Anfangsverdachtes für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit die Herstellung von Bildaufzeichnungen durch eine vom Messbeamten gesteuerte individuelle Auslösung einer Identifizierungskamera zulässig, trotz des hiermit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das umfasse auch die unvermeidliche Aufzeichnung Fahrzeuge Dritter, die in der unmittelbaren Umgebung des verdächtigen Fahrzeugs fahren. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte Unbeteiligter Verkehrsteilnehmer sei nur sehr kurzfristig und daher im Verhältnis zum angestrebten Zweck der Sicherheit des Straßenverkehrs noch als verhältnismäßig hinnehmbar.
 
Soweit demgegenüber mit der sogenannten Telekamera und der sogenannten Messkamera durch Übersichtsaufnahmen nur der auflaufende Verkehr erfasst wird, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 11.08.2009 ausdrücklich offen gelassen, ob hier überhaupt von einem Grundrechtseingriff auszugehen ist. Das stationäres Verkehrsüberwachungssystem VAMA erfasst von einem Brückenbauwerk über der Autobahn mit Hilfe von zwei Videokameras das gesamte Verkehrsaufkommen auf allen Fahrstreifen der Autobahn innerhalb einer Strecke von circa 700 Metern. Die Bamberger Richter nehmen auch zu dieser Frage eine eindeutige Haltung ein: Selbst wenn mit diesen so gefertigten Bildern durch eine hinreichender Auflösung und Vergrößerung eine individuelle Identifizierungsmöglichkeit im Bezug auf Kennzeichen der Fahrzeuge sowie der Fahrzeugführer bestehen würde und damit auch ein Personenbezug auf unbeteiligte Verkehrsteilnehmer hergestellt werden könnte, läge ein insoweit eventuell bestehender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art.2 Abs.1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 Grundgesetz (GG) unterhalb der Schwelle des § 100 h Abs. 1 Nr.1 StPO  und sei auch durch die Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 OWiG abgedeckt.

Das OLG Bamberg sieht eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung bereits als gegeben an

Das Ergebnis, zu dem der Bußgeldsenat des OLG Bamberg im Hinblick auf die manuelle Videoüberwachung gelangt, steht mit den Wertungen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang. Die Absolutheit, mit der das OLG Bamberg im Hinblick auf die grundrechtlich geschützten Belange der im Umfeld der Aufzeichnung des Betroffenen fahrenden anderen Verkehrsteilnehmer von der Unbeachtlichkeit des Eingriffs ausgeht, verdient jedoch mit Einschränkungen Kritik. Hier wären weitere Erörterungen wünschenswert gewesen.
 
Auch wenn sich die Entscheidung des OLG Bamberg nur auf das von der Polizei in Bayern eingesetzte Brückenabstandsmessverfahren (VAMA) bezieht, dürfte darin eine rechtliche Positionierung im Hinblick auf sämtliche anlassbezogene Videoaufzeichnungen zur Identifikation der Betroffenen zu sehen sein. Das Problemfeld bilden aber weiterhin die Messverfahren, die auf verdachtsunabhängiger, automatisierter Videoaufzeichnungen basieren. Hier hat das OLG Oldenburg mit der Entscheidung für die Unverwertbarkeit der Beweisergebnisse mangels gesetzlicher Eingriffsgrundlage die Richtung zugunsten der betroffenen Autofahrer vorgegeben.

Der Gesetzgeber ist gefordert

Wenn weitere Oberlandesgerichte diese Rechtsfrage unterschiedlich beurteilen und sich hier möglicherweise eine Nord-Süd-Divergenz abzeichnet, wäre eine Vorlage an den Bundesgerichtshof (BGH) angebracht. Auf dem Rücken der Betroffenen sollte die Rechtsunsicherheit jedenfalls nicht ausgetragen werden. Dabei sind zuvorderst die Gesetzgeber aufgefordert, die Konsequenzen aus dem Karlsruher Urteil zu ziehen und die geforderte formell-gesetzliche Grundlage für die entsprechenden Überwachungsmaßnahmen der Verkehrsteilnehmer zu treffen.

Christian Demuth, Düsseldorf
Rechtsanwalt l Fachanwalt für Strafrecht
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