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Saarländische Richter zeigen Grenzen des Blitzers Traffistar S 350 auf

Die Rohmessdaten sind bei den Blitzern ein heikles Thema. Ohne sie kann es am rechtsstaatlich korrekten Verfahren fehlen. Foto: Christian Schwier - stock.adobe.com

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, mit der sich ein Kraftfahrer gegen seine Verurteilung zu einer Geldbuße von 100 € gewehrt hatte. Die zugrundeliegende Geschwindigkeitsmessung war mit einem Blitzer Traffistar S 350 des Herstellers Jenoptik erfolgt. Da dieses Gerät keine Rohmessdaten speichert, war es dem Kraftfahrer, so die Landesverfassungsrichter, nicht möglich, sich angemessen gegen den Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung wehren zu können. Daher ist der Kraftfahrer durch die Verurteilung der saarländischen Gerichte in seinem Grundrecht auf ein faires gerichtliches Verfahren verletzt worden (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 05.07.2019, Az.: Lv 7/17).

Nachträgliche Kontrolle der Messergebnisse muss möglich sein

Das Urteil, das eigentlich nur für das Saarland gilt, dürfte gleichwohl eine Diskussion über die Landesgrenzen hinaus auslösen, wirft es doch einen kritischen Blick auf die Praxis, den von der Physikalisch-technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB) zugelassenen Geschwindigkeitsmessgeräten im Rahmen des sogenannten standardisierten Verfahrens eine hohe Beweiswirkung zuzubilligen. Diese selbst wird durch das Urteil zwar nicht angezweifelt, doch muss betroffenen Fahrzeugführern eine nachträgliche Kontrolle des Messergebnisses möglich sein. Und das ist laut saarländischem Verfassungsgerichtshof eben nicht der Fall, wenn die Blitzer wie der Traffistar S 350 keine Rohmessdaten mehr speichern.

Der Verfassungsgerichtshof stellte klar, dass ein Betroffener die Möglichkeit haben muss, die Validität der standardisierten Messung zu überprüfen. Und das sei auch dann der Fall, wenn er zunächst keinen auf der Hand liegenden Einwand, wie er sich etwa aus dem Lichtbild ergeben kann, vortragen könne. Laut Gericht gehört es zu einer wirksamen Verteidigung, nachforschen zu können, ob es bislang nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit eines Vorwurfs gibt.

Neue Störeinflüsse können die Momentaufnahme der Begutachtung verändern

Amtsgericht und Oberlandesgericht hatten sich auf den Standpunkt gestellt, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler seien durch den Beschwerdeführer nicht vorgetragen worden, sodass die Entscheidungen auch nicht auf mögliche Fehler bei der Messung hatten eingehen müssen. Im Laufe des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zeigten dann allerdings Gutachter auf, dass die Zulassung der PTB letztlich auf Versuchsreihen basiert, welche diverse Parameter wir Temperatur, Feuchtigkeit, elektromagnetische Einflüsse etc. berücksichtigen. Dabei handelt es sich jedoch immer um eine Momentaufnahme zu einem Zeitpunkt, der – teils weit – vor der praktischen Anwendung des Messgerätes liegt. Insofern kann laut den Gutachtern nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Situation mit veränderten Bedingungen, z.B. neuen Störeinflüssen, ebenfalls verändert.

Standardisierte Beweiserhebung muss nur bei Anlass hinterfragt werden

Der Verfassungsgerichtshof stellte klar: Ist ein Gericht – im Rahmen von Massenverfahren – befugt, sich auf standardisierte Beweiserhebungen zu stützen, ohne sie anlasslos hinterfragen zu müssen, so muss zu einer wirksamen Verteidigung gehören, etwaige Anlässe, sie in Zweifel zu ziehen, recherchieren zu dürfen, sich also der Berechtigung der Beweiskraft der dem Gericht vorliegenden Umstände zu vergewissern. Darüber hinaus wiesen die Richter darauf hin, dass einem Verteidiger nicht untersagt werden darf, sich Erkenntnisse zu verschaffen, nur weil die Gerichte angesichts der Fülle der von ihnen zu bearbeitenden Fälle und der Verlässlichkeit der standardisierten Messverfahren typischerweise darauf verzichteten. Denn letztlich sei auch ein Gericht nicht gehindert, sich über das standardisierte Verfahren hinaus möglicherweise bessere Kenntnisse zu verschaffen.

Ausschließliches Verlassen auf amtliche Begutachtung ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar

Laut Verfassungsgerichtshof würde der alleinige Verweis auf die Verlässlichkeit einer Konformitätsprüfung wie die der PTB schlicht bedeuten, dass Rechtssuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit elektronischer Systeme und der sie steuernden Algorithmen ausgeliefert wären. Dies sei weder bei Geschwindigkeitsmessungen noch bei Blutprobenanalysen oder DNA-Identitätsmusterfeststellungen rechtsstaatlich hinnehmbar.

Christian Demuth, Düsseldorf
Rechtsanwalt l Fachanwalt für Strafrecht
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